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Frontex: Ist die EU-Agentur für Grenz- und Küstenwache außer Kontrolle?

  • Veröffentlicht: 29.04.2021
  • 20:45 Uhr
  • Galileo
Article Image Media
© picture alliance / NurPhoto | Nicolas Economou

Frontex soll die Außengrenzen der EU schützen. Dabei weist die europäische Agentur offenbar auch Einwandernde illegal zurück und trifft sich heimlich mit Beauftragten der Waffenlobby. Was steckt hinter den Vorwürfen? Was macht die Grenz-Agentur genau?

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Das Wichtigste zum Thema Frontex

  • Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache mit Sitz in der polnischen Hauptstadt Warschau wurde 2004 gegründet.

  • Sie hat zurzeit rund 1.000 Mitarbeitende, wovon etwa ein Viertel von den EU-Mitgliedsstaaten entsandt ist und nach der Dienstzeit ins Heimatland zurückkehrt. Ihr Chef ist Fabrice Leggeri.

  • Die Aufgabe von Frontex: die Außengrenzen der EU schützen. Dazu überwachen Mitarbeitende unter anderem die Grenzbereiche und koordinieren die verschiedenen Grenz-Polizeien sowie den Einsatz zusätzlicher Grenzschutzfachleute.

  • Außerdem sammelt Frontex Daten, zum Beispiel zur illegalen Migration oder zum Menschenhandel, und wertet diese aus.

  • Um diese Aufgaben zu erfüllen, erhält Frontex Geld von den EU-Staaten. In diesem Jahr hat die EU-Agentur ein Budget von rund 544 Millionen Euro.

  • Menschenrechts- und Hilfsorganisationen für Geflüchtete werfen Frontex seit Jahren immer wieder vor, an sogenannten Pushbacks beteiligt zu sein. Das bedeutet, Flüchtlinge aufs Meer zurückzuschicken, ohne dass sie die Möglichkeit haben, um Asyl zu ersuchen.

  • Frontex-Chef Fabrice Leggeri verteidigt das Vorgehen als legales Abfangen der Boote. Daran hat inzwischen jedoch auch die EU-Kommission Zweifel, weshalb eine Arbeitsgruppe des EU-Parlaments die Situation untersucht.

  • Vor Kurzem haben die Internetplattform "Frag den Staat" und das ZDF Magazin Royale außerdem nachgewiesen, dass sich Mitarbeitende von Frontex mit Beauftragten von Rüstungskonzernen getroffen haben. Warum das problematisch ist, erzählt unser Experte im Interview.

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Wie die EU-Agentur aufgebaut ist und arbeitet

🇵🇱 Frontex ist keine Grenzpolizei, sondern eine EU-Agentur. Der Name leitet sich aus dem Französischen ab. Es ist die Kurzfassung von "frontières extérieures", was Außengrenzen bedeutet.

⚓️ Auch Such- und Rettungseinsätze seien Teil der eigenen Aufgaben, sagt Frontex: Zwischen 2015 und 2017 habe die Agentur zur Rettung von 280.000 Menschen im Mittelmeer beigetragen.

🚨 Team-Arbeit: Frontex-Beamte, Entsandte aus den Mitgliedsländern und die Grenzpolizeien vor Ort arbeiten zusammen. Bei Frontex-Einsätzen ist noch überwiegend die Ausrüstung der EU-Mitgliedsstaaten im Einsatz, zum Beispiel also die Boote der verschiedenen Küstenwachen.

👮 Bis zum Jahr 2027 soll Frontex 10.000 eigene Beamte für Grenzschutz und Küstenwache haben. Die werden dann auch über eigene Ausrüstung verfügen wie Uniformen, Waffen und Hubschrauber.

💶 Die EU erhöhte das Budget von Frontex seit der Gründung der Agentur fast jedes Jahr. Um die geplanten Ausgaben vor allem für neues Personal zu finanzieren, soll das Budget von 2021 bis 2027 jedes Jahr 1,3 Milliarden Euro betragen.

🇪🇺 Es gibt einen Verwaltungsrat, in dem 2 Vertreter der EU-Kommission und Vertreter der 26 EU-Staaten sitzen, die den Schengen-Bestimmungen unterliegen. Die Mitglieder des Verwaltungsrates treffen sich 5 mal im Jahr. Der Verwaltungsrat genehmigt den Haushaltsplan. Der Frontex-Direktor muss dem Verwaltungsrat gegenüber Rechenschaft ablegen.

👥 Das 27. EU-Mitglied, das nicht den Schengen-Bestimmungen unterliegt, ist Irland. Vertreter:innen von Irland und Großbritannien werden zu Sitzungen eingeladen, haben aber nur ein eingeschränktes Stimmrecht. Genauso ist es bei Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. Die Länder sind keine EU-Mitgliedstaaten, aber Schengen-assoziierte Länder.

So präsentiert Frontex seine Arbeit selbst

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Was ist das Problem am Frontex-Vorgehen?

Seit mehreren Jahren werfen unter anderem die Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl", der UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) und die UNO-Flüchtlingshilfe Frontex vor, Menschenrechte zu verletzen.

Videos zeigen beispielsweise, wie Flüchtlinge zurück aufs Meer geschickt werden - obwohl Frontex-Mitarbeitende in mehreren Fällen in der Nähe gewesen seien und das nicht verhindert haben sollen.

Auch werden Frontex-Mitarbeitende beschuldigt, Boote mit Geflüchteten abzufangen und der griechischen Grenzschutzpolizei zu übergeben. Diese zerstört mutmaßlich die Motoren und schleppt die Boote zurück ins offene Meer.

Vorgehen verstößt gegen mehrere Gesetze

Im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (Artikel 98, Paragraf 1) haben sich die UNO-Staaten zum Beispiel zu einer Pflicht zur Hilfeleistung bekannt: "(1) Jeder Staat verpflichtet den Kapitän eines seine Flagge führenden Schiffes, soweit der Kapitän ohne ernste Gefährdung des Schiffes, der Besatzung oder der Fahrgäste dazu imstande ist, a) jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten."

Außerdem haben Flüchtlinge grundsätzlich ein Recht auf Asyl, wie es auf der Internetseite des EU-Parlaments steht: "Jeder, der vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden in seinem Herkunftsland flieht, hat das Recht, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen."

Darüber hinaus sind Kollektivausweisungen nicht zulässig, wie es in der Grundrechtecharta der EU vermerkt ist.

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Galileo

Hinter den Kulissen des EU-Parlaments

Etliche Verordnungen werden jährlich durch das EU-Parlament beschlossen. Doch wer entscheidet darüber? Wie genau funktioniert Europas wichtigste Institution? Galileo Reporter Maurice Gajda ist nach Straßburg gereist und hat hinter die Kulissen geblickt.

  • Video
  • 13:43 Min
  • Ab 12

Wer kontrolliert Frontex? Arne Semsrott, Leiter des Projekts "Frag den Staat", im Interview

💬 Die EU-Kommission und vor allem der Verwaltungsrat kontrollieren Frontex. Alleine kann allerdings keiner wirklich etwas erreichen. Frontex kontrolliert sich vor allem selbst.

💬 Das schärfste Schwert des EU-Parlaments ist es, bei der Bewilligung eines neuen Haushaltsjahres und eines neuen Budgets für Frontex ein Veto einzulegen. Das ist gerade passiert und das ist ein gewisses Druckmittel.

💬 Außerdem kann das EU-Parlament den Frontex-Direktor einladen, um ihn zu befragen. Der muss aber noch nicht mal kommen. Im Moment untersucht eine Arbeitsgruppe von EU-Abgeordneten die Arbeitsweise von Frontex. Es geht da unter anderem um die illegalen Pushbacks.

💬 Das Problem ist, dass es bei den derzeitigen politischen Verhältnissen schwierig ist, im Verwaltungsrat eine Mehrheit für die Änderung der Grenzpolitik zu bekommen. Selbst wenn Bundesinnenminister Horst Seehofer mit dem Vorgehen nicht mehr zufrieden wäre, hat Deutschland nur eine Stimme.

💬 Wenn es zum Beispiel darum geht, dass Griechenland Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen vorgeworfen werden, dann entscheidet Griechenland im Verwaltungsrat selbst mit, was passiert.

💬 Es gibt aber trotzdem die Möglichkeit, über die Öffentlichkeit Druck zu erzeugen, damit sich etwas ändert. Die Menschenrechtsverletzungen von Frontex wurden in letzter Zeit so stark in den Medien thematisiert, dass Frontex unter Zugzwang gerät.

💬 Die Treffen zwischen Frontex und der Waffenlobby sind aus mehreren Gründen ein Problem:

  1. Das EU-Parlament hatte mehrfach danach gefragt und Frontex hat geleugnet, dass es Treffen gibt.
  2. Zum Zeitpunkt der Treffen hatten Frontex-Beamte noch gar keine Befugnis, Waffen zu tragen.
  3. Sollte man einer EU-Grenzpolizei, die offensichtlich kaum kontrolliert wird, die Macht geben, tödliche Waffen zu tragen?

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Willst Du noch mehr über Flüchtlinge und Seenotrettung erfahren?

Die Hilfsorganisation Sea Watch

UNHCR - Uno-Flüchtlingshilfswerk

Die UNO-Flüchtlingshilfe

Seenotrettung Mission Lifeline

Seenotrettung Sea Eye

Die Seenotrettungsorganisation SOS Méditeranée

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl

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