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Was passiert, wenn nach der Bundestagswahl 2021 keine Koalition zustande kommt?

  • Veröffentlicht: 07.10.2021
  • 08:45 Uhr
  • Galileo

Vor der Bundestagswahl wurde über viele verschiedene Koalitionsmöglichkeiten spekuliert. Aber was passiert, wenn jetzt nach der Wahl keine Koalition gebildet werden kann? Was das Grundgesetz für diesen Fall vorsieht, erfährst du hier. Im Video: So ist der Bundestag aufgebaut.

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Koalitionen Bundestagswahl 2021: Das Wichtigste zum Thema

  • Das vorläufige Endergebnis der Bundestagswahl 2021 steht fest: Die SPD gewinnt mit 25,7 Prozent knapp vor der Union mit 24,1 Prozent. Die Grünen sind mit 14,8 Prozent drittstärkste Fraktion im Deutschen Bundestag. Folgende Koalitionen sind denkbar: Ampel, Deutschland-Koalition, Kenia-Koalition, Jamaika und eine neue Große Koalition. Aktuell stehen die Chancen für eine Ampel-Koalition am besten. Grüne, FDP und SPD wollen in Sondierungsgespräche gehen.

  • Wenn nun nach der Bundestagswahl 2021 keine Koalition mit Mehrheit im Parlament zustande kommt, bleibt Deutschland aber nicht ohne Regierung.

  • Kanzlerin Angela Merkel und ihre Regierung bleiben geschäftsführend im Amt, bis der Bundestag eine neue Kanzlerin oder wahrscheinlicher einen neuen Kanzler wählt.

  • Das Grundgesetz sieht 2 Auswege vor, wenn keine mehrheitsfähige Koalition gebildet werden kann: Eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Die neue Kanzlerin beziehungsweise der neue Kanzler kann eine Minderheitsregierung führen.

  • Wird die neue Kanzlerin beziehungsweise der neue Kanzler erst im letzten Wahlgang gewählt, dann muss der Bundespräsident entscheiden, ob es in diesem Fall eine Neuwahl gibt oder ob eine Minderheitsregierung ins Amt kommt.

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Bundestagswahl 2021: Mögliche Koalitionen mit Mandaten

Bundestagswahl 2021: Koalition Ampel
Bundestagswahl 2021: Koalition Ampel
Bundestagswahl 2021: Koalition Jamaika
Bundestagswahl 2021: Koalition Jamaika
Bundestagswahl 2021: Koalition Kenia
Bundestagswahl 2021: Koalition Kenia
Bundestagswahl 2021: Koalition Deutschland
Bundestagswahl 2021: Koalition Deutschland
Bundestagswahl 2021: Koalition Ampel
Bundestagswahl 2021: Koalition Jamaika
Bundestagswahl 2021: Koalition Kenia
Bundestagswahl 2021: Koalition Deutschland

Bundestagswahl 2021: Das sind die möglichen Koalitionen

Folgende Koalitionen sind nach dem vorläufigen Endergebnis möglich: Ampel, Deutschland-Koalition, Kenia-Koalition, Jamaika und eine neue Große Koalition: Über so viele mögliche Koalitionsvarianten wie bei dieser Bundestagswahl 2021 wurde in Deutschland selten diskutiert. Aber nur weil etwas denkbar ist, muss es noch lange nicht machbar sein.

Was passiert, wenn sich die Parteien nach Wochen oder Monaten der Verhandlungen auf keine Koalition einigen können? Auch für diesen Fall hat das Grundgesetz Vorsehung getroffen. Welche das sind, erfährst du auf dieser Seite.

Außerdem verraten wir dir, welche Vor- und Nachteile eine Minderheitsregierung hat und welche es in der Vergangenheit schon in Deutschland gab.

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Kann Deutschland nach der Bundestagswahl 2021 ohne Regierung dastehen?

📙 Hier ist die Antwort ein klares: Nein! Den Fall, dass Deutschland keine Regierung hat, sieht das Grundgesetz ausdrücklich nicht vor. Artikel 69 des Grundgesetzes legt fest: Die Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrer Regierung endet mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages. Das muss spätestens 30 Tage nach der Wahl geschehen.

📝 Aber: Bis eine neue Kanzlerin oder ein neuer Kanzler gewählt sind, bleibt die Regierung geschäftsführend im Amt. Heißt konkret: Nach der ersten Sitzung des neuen Bundestages erhalten die Kanzlerin und ihre Minister:innen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihre Entlassungsurkunden. Der Präsident bittet sie aber gleichzeitig, vorerst weiterzuregieren.

📅 Nach der Bundestagswahl 2017 dauerte es fast ein halbes Jahr, bis es zur Neuauflage der Großen Koalition kam. Es ist also gut möglich, dass Kanzlerin Angela Merkel an Silvester noch einmal die Neujahrsansprache hält.

⚖ Eine geschäftsführende Regierung ist eine schwache Regierung. Sie hat vermutlich im Bundestag keine Mehrheit mehr. Alle bisherigen Gesetze bleiben weiter gültig. Neue Gesetze wird die geschäftsführende Regierung wohl aber keine mehr durchsetzen können.

Kann auch eine Regierung ohne die stärkste Partei gebildet werden?

Ja, das ist möglich. In Deutschland regierten SPD und FDP von 1969 bis 1982, obwohl CDU/CSU bei den meisten Bundestagswahlen in dieser Zeit die meisten Stimmen bekamen.

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Wie wird der neue Kanzler gewählt?

Die Kanzlerwahl ist in Artikel 63 Grundgesetz geregelt: Demnach wird der Regierungschef "auf Vorschlag des Bundespräsidenten" vom Bundestag mit der Mehrheit der Mitglieder gewählt.

Vermutlich wird Frank-Walter Steinmeier den Kandidaten der Partei mit dem höchsten Stimmenanteil bei der Bundestagswahl 2021 vorschlagen, das wäre Olaf Scholz. Steinmeier ist aber völlig frei in seinem Vorschlagsrecht für die Kanzlerwahl.

Welche Mehrheit braucht man nach der Bundestagswahl für eine Regierungsbildung?

Zunächst mehr als die Hälfte der Stimmen. Im letzten Wahlgang aber "nur" noch die meisten Stimmen. Schauen wir uns das genauer an:

  • Im ersten Wahlgang benötigt ein:e Kandidat:in noch eine absolute Mehrheit im Parlament, um Kanzler:in zu werden. Heißt konkret: mehr als 50 Prozent der Abgeordneten-Stimmen im neuen Bundestag.
  • Wird eine Kanzlermehrheit nicht erreicht, auch nicht innerhalb von 14 Tagen bei weiteren Wahlgängen mit möglichen Gegenkandidat:innen, so muss laut Grundgesetz "unverzüglich" ein letzter Wahlgang stattfinden.
  • In diesem letzten Wahlgang ist gewählt, wer lediglich die meisten Stimmen erhält. Eine absolute Mehrheit ist dann nicht mehr nötig. So könnte der Weg für die Kanzlerin beziehungsweise den Kanzler einer Minderheitsregierung aussehen.
  • Aber nur, wenn der Bundespräsident dies zulässt. Denn die im letzten Wahlgang gewählte Person kann Steinmeier binnen 7 Tagen entweder zur neuen Kanzlerin beziehungsweise neuen Kanzler ernennen - oder er muss den Bundestag auflösen. Wenn der Bundespräsident sich für eine Auflösung entscheidet, kommt es zwangsläufig zu Neuwahlen. Diese müssen laut Grundgesetz innerhalb von 60 Tagen stattfinden.
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Kann es in Deutschland eine Minderheitsregierung geben?

Ja, das ist möglich, wenn die Kanzlerin beziehungsweise der Kanzler im letzten Wahlgang gekürt wird. Dann könnten beispielsweise auch Bündnisse wie CDU/CSU und FDP oder SPD und Grüne regieren.

Gab es in Deutschland schon mal eine Minderheitsregierung?

Ja, sowohl auf Landesebene als auch auf Bundesebene. Allerdings waren diese Bündnisse immer ein Ausnahmefall - und in den meisten Fällen von kurzer Dauer.

  • In Sachsen-Anhalt ließ Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) seine Minderheitsregierung von 1994 bis 2002 von der PDS tolerieren. Diese Konstellation bekam den Namen "Magdeburger Modell".
  • In Nordrhein-Westfalen bildete Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) von 2010 bis 2012 eine rot-grüne Minderheitsregierung.
  • Eine Minderheitsregierung hat es auch auf Bundesebene schon 3-mal gegeben, allerdings nur für kurze Zeit.
  • Als die FDP im Oktober 1966 die Zusammenarbeit mit Kanzler Ludwig Erhard und seiner Union beendeten, gingen alle Ministerposten an CDU/CSU-Politiker:innen. Bis im Dezember die Regierung durch eine Große Koalition unter CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger abgelöst wurde.
  • Ähnliches geschah auch im September 1982: Damals kündigte die FDP die Zusammenarbeit mit der SPD von Kanzler Helmut Schmidt. Seine Partei bekam alle Ministerämter, bis Helmut Kohl (CDU) am 1. Oktober durch ein konstruktives Misstrauensvotum zum Bundeskanzler gewählt wurde.
  • Die erste sozialliberale Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) verlor im Mai 1972 die absolute Mehrheit im Bundestag. Aus dem Regierungslager waren etliche Politiker:innen zur Union übergetreten. Nachdem Brandt die Vertrauensfrage gestellt und die Abstimmung erwartungsgemäß verloren hatte, kam es zu Neuwahlen. Die brachten Brandt und seiner SPD/FDP-Regierung eine klare Mehrheit.

Im europäischen Ausland sind Minderheitsregierungen heute keine Seltenheit mehr - vor allem in Skandinavien. Aktuelles Beispiel: Mette Frederiksen in Dänemark. Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin setzt meist auf linke Bündnispartner, bei der Migrationspolitik organisiert sie Mehrheiten mit Stimmen der Rechten.

Auch in Kanada muss der liberale Regierungschef Justin Trudeau ein Minderheitenbündnis fortführen, nachdem er bei den Parlamentswahlen vor wenigen Tagen die absolute Mehrheit verfehlt hatte.

Was sind Vorteile und Nachteile einer Minderheitsregierung?

👍 Ein klarer Vorteil einer Minderheitsregierung wäre, dass auch ohne eine komplizierte Drei-Parteien-Koalition eine Regierung gebildet werden kann. So könnten Minderheitsregierungen aus Union und FDP oder SPD und Grünen im dritten Wahlgang einen Kanzler beziehungsweise eine Kanzlerin durchbringen.

👍 Im Idealfall muss sich eine Minderheitsregierung auf Sachfragen beschränken: Die Ideologie oder der Koalitionsvertrag sind weniger wichtig als die Konzentration auf bestimmte Gesetze.

👉 Um das an einem konkreten Fall zu verdeutlichen: Eine Minderheitsregierung aus Union und FDP wäre etwa für ein Gesetz zu Migration und Flüchtlingen auf die Stimmen der AfD angewiesen. Bei einem Klimaschutz-Gesetz hingegen müsste die schwarz-gelbe Minderheitsregierung die Stimmen der Grünen gewinnen.

👊 In jedem Fall muss die neue Kanzlerin beziehungsweise der neue Kanzler über ein hohes Maß an Verhandlungsgeschick verfügen. Jedes neue Gesetz braucht auch eine neue Mehrheit im Parlament.

👎 Der große Nachteil einer Minderheitsregierung ist eine politische Instabilität. Das Gerangel, das man sonst aus den Koalitionsverhandlungen kennt, wird dann zum Dauerzustand. Zudem wird die Regierung von ihren Tolerierungspartnern abhängig.

👉 Nehmen wir wieder den theoretischen Fall einer schwarz-gelben Minderheitsregierung: Für ihre Stimmen zu einem Klimaschutz-Gesetz könnten die Grünen dann auch Zugeständnisse bei anderen Themen verlangen.

Wie wahrscheinlich ist eine Minderheitsregierung nach der Bundestagswahl 2021?

Auf jeden Fall wahrscheinlicher als bei den bisherigen Bundestagswahlen. 2017 scheiterte etwa das Drei-Parteien-Bündnis Jamaika (CDU/CSU, FDP und Grüne) noch während der Koalitionsverhandlungen. Damals gab es aber noch die Ausweichmöglichkeit einer Großen Koalition.

Eine Große Koalition wäre rein rechnerisch auch 2021 möglich, denn Union und SPD verfügen zusammen über eine Regierungsmehrheit. Diese Option ziehen allerdings weder die Union noch die SPD ernsthaft in Erwägung. Wahrscheinlich wird es ein Dreier-Bündnis geben. Noch offen ist jedoch in welcher Konstellation.

Wenn keine Koalition gebildet wird: Wären Neuwahlen die Lösung?

Nicht unbedingt. Schon nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen 2017 warnte der Politikwissenschaftler Stefan Marschall gegenüber dem Nachrichtenmagazin derStandard.de: "Neuwahlen würden nicht garantieren, dass danach klare Verhältnisse herrschen." Es würden vor allem die Parteien von den Wähler:innen bestraft werden, die es nicht geschafft haben, eine Regierung zu bilden. Demnach würden diejenigen, die eine Alternative zur Regierung darstellen, belohnt werden.

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